Steinzeitmedizin: Was unsere Urväter schon beherrschten und wie es heute gemacht wird
Die Steinzeit – eine unvorstellbar lange Periode des Lebens der Menschen auf der Erde, die vor rund 2,6 Millionen Jahren begann und bis etwa 2000 vor Christus andauerte. Wie die Menschen damals lebten, kann sich heute kaum noch jemand vorstellen. Nur wenige indigene Völker leben heute noch ein ganz klein wenig so, wie die Menschen der Steinzeit. Und doch haben auch sie kaum noch etwas miteinander gemein. Im Vergleich zu heute ist gerade auch die Medizin ein spannender Bereich, der einer genaueren Betrachtung bedarf. Wie haben die Menschen der Steinzeit Medizin praktiziert? Was war damals möglich, was nicht? Und welche konkreten Techniken werden heute inwieweit anders ausgeführt als damals?
Das Problem der Rekonstruktion und stichhaltiger Beweise
Vorweg ist wichtig zu erwähnen, dass es keine schriftlichen Beweise für die praktizierte Medizin der Steinzeit gibt. Denn die Schrift existierte in der Form, wie wir sie heute als solche kennen und verstehen, erst deutlich später. Das mutmaßlich erste Schriftsystem stammt aus der Zeit um 5300 vor Christus. Funde aus dieser Zeit lassen sich allerdings nur schwer übersetzen und Informationen zur Medizin sind gar unmöglich zu finden. Als Quellen für Mutmaßungen müssen also andere Fundstücke dienen. Solche Fundstücke sind beispielsweise menschliche Überreste. Auch sie sind selten, da viele bei Bestattungsritualen zerstört wurden oder durch Beschädigungen unbrauchbar gemacht wurden. Dennoch gibt es vor allem immer wieder Schädelfunde, die Aufschluss über diverse medizinische Eingriffe geben. Neben menschlichen Überresten können auch Malereien Aufschluss über diverse Praktiken der Steinzeitmenschen geben. Es handelt sich dabei meist um Malereien, die mit Farben aus Mineralien wie Kalk, Ton und Holzkohle sowie mit Pinseln aus Federn, Tierfellen oder Zweigen an den Wänden von Höhlen angebracht wurden. Anders als schriftliche Überlieferungen sind auch sie jedoch wenig konkret und müssen freier interpretiert werden. Letztlich betrachten Forscher:innen auch immer wieder Menschen, die heute ein ähnliches Nomadendasein führen, wie die Menschen der Steinzeit. Man zieht deren Medizin als Beweismittel heran, wobei es aber natürlich hier in jedem Fall individuelle Besonderheiten alleine durch die Umgebungen gibt, in denen die Menschen lebten und heute leben.
Operationen – Das gab‘s schon damals?
So unglaublich es auch klingen mag, ist sie doch eine der sichersten überlieferten medizinischen Praktiken der Steinzeit: Die Operation. Vor allem Eingriffe am Kopf sind mit großer Wahrscheinlichkeit in der Steinzeit häufig durchgeführt worden. Davon geht man aus, da etliche Funde aus der Steinzeit Bohrlöcher an den Schädeln aufweisen. Sogenannte „trepanierte“ Schädel wurden sowohl in Europa, als auch in Nordafrika, Asien und Neuseeland gefunden. Die Trepanation zählt damit als das älteste chirurgische Verfahren überhaupt. Der Grund, warum die Löcher in die Schädel gebohrt wurden, ist unklar. Theoretisch könnte dies gemacht worden sein, um…
- eine Waffenspitze aus dem Kopf zu operieren.
- migräneartige Kopfschmerzen zu behandeln.
- Hirnverletzungen zu behandeln.
- Tumore zu entfernen.
- Epilepsie zu behandeln.
- oder diverse psychische Krankheiten zu heilen.
Die psychischen Krankheiten rührten dem damaligen Denken zufolge von bösen Geistern her. Man vermutete, dass diese sich im Körper eingenistet hatten und nur über Löcher in der Schädeldecke wieder befreit werden konnten. Spannend ist, dass viele Menschen die Schädeloperationen wohl überlebten. Denn es wurden Belege dafür entdeckt, dass das Knochengewebe, das das chirurgische Loch umgibt, teilweise wieder nachgewachsen ist. Neben Schädeloperationen zeugen viele Höhlenmalereien menschlicher Hände dafür, dass immer wieder Finger entfernt wurden. Das lässt darauf schließen lässt, dass diese zu Opfer- oder auch praktischen Zwecken abgetrennt wurden.
Operationen heute
Wirft man einen kurzen und beispielhaften Blick auf heutige Operationen am Kopf von Menschen, werden die drastischen medizinischen Fortschritte deutlich, die die Menschen in der Geschichte erlangt haben. Für heutige Operationen etwa bei Tumorpatient:innen werden den Betroffenen zum Beispiel mitunter einige Stunden vor der Operation ganz bestimmte Medikamente verabreicht. Diese können während der Operation manche Tumore anhand der Fluoreszenz unter Blaulicht besser sichtbar werden lassen. Außerdem wird ein Tumor heute unter mikrochirurgischen Bedingungen entfernt. Dabei kommen als Hilfsinstrumente bei größeren Tumoren nicht selten Ultraschallsauger zum Einsatz. Diese können mit gebündelten Ultraschallwellen Tumore millimetergenau zerstören.
Die Behandlung der Zähne
Archäologische Funde in der Provinz Belutschistan im heutigen Pakistan belegen, dass die Menschen der Jungsteinzeit auch schon Kenntnisse in der Zahnmedizin hatten. Bohrlöcher in den Zähnen etwa waren Zeichen dafür, dass erste Bohrungen bereits rund 7000 vor Christus durchgeführt wurden. Ein recht gut erhaltenes Kieferstück aus dem heutigen Slowenien wiederum gibt Aufschluss über die Behandlung von schmerzhaften Löchern in Zähnen. Um diese zu füllen, verwendeten die Mediziner:innen der Steinzeit offensichtlich Bienenwachs. Das konnte festgestellt werden, indem die Zahnfüllung, die durch Mikro-Computertomographie und Infrarotspektroskopie entdeckt wurde, probeweise mit Infrarot-Strahlen durchleuchtet wurde. Man vermutet, dass das Wachs eventuell bereits vor dem Tod des Betroffenen in den beschädigten Zahn gefüllt wurde, um dessen Empfindlichkeit zu senken. Die Füllung wäre damit der bislang älteste Beleg für eine Zahnbehandlung, bei welcher Füllungen verwendet wurden.
Zahnbehandlungen heute
Während früher Füllungen eventuell aus besagtem Bienenwachs gemacht wurde, stehen Zahnmediziner:innen heute ganz verschiedene Arten von Füllungen zur Verfügung. Nachdem oftmals mit einem modernen Bohrer die erkrankte Zahnsubstanz entfernt wird, kann eine plastische Füllung oder eine Einlagefüllung in den Zahn gegeben werden. Erstere kommen in formbarem Zustand in den Zahn und härten dort aus. Einlagefüllungen wiederum werden außerhalb des Mundes angefertigt und anschließend in den Zahn eingepasst und befestigt. Die üblichsten Füllungen sind Komposite, also Kunststoff-Keramik-Restaurationen, Zemente oder Füllungen aus Amalgam, Gold und Keramik. Waren Zähne früher übrigens auch durch Bohrungen nicht mehr zu retten, musste man sie zwangsläufig ziehen. Heute dagegen können auch Wurzelbehandlungen noch eine letzte Rettung bedeuten. Dabei sind die Risiken der heutigen Zahnwurzelbehandlung deutlich geringer als jene, die ein unbehandelter Zahn hervorruft. Doch um welche Eingriffe geht es dabei ganz genau? Kurz: Das lebende entzündete und manchmal auch schon abgestorbene Gewebe wird entfernt, um künstlichen Zahnersatz zu verhindern. Ein Eingriff, der nur durch modernste Medizin möglich ist.
Pflanzen, Kräuter, Erde und Ton zur Heilung
Die wahrscheinlich zugänglichsten und natürlichsten Materialien, die unser Planet uns zur Verfügung stellt, wurden natürlich auch schon in der Steinzeit genutzt, um diverse Beschwerden zu lindern. Vor allem Pflanzenmaterialien und dabei Kräuter und aus anderen Pflanzen gewonnene Stoffe wurden gerne verwendet. Dabei war eine prähistorische Gesellschaft stets auf die lokalen Gebiete beschränkt, da, anders als später bei antiken Zivilisationen, noch keine anderen internationalen Materialien beschafft werden konnten.
Alle natürlichen Materialien haben es an sich, schnell zu verrotten. Das macht es Forscher:innen heute schwer, genaue Aussagen über die damalige Verwendung diverser Materialien zu machen. Man vermutet aber beispielsweise, dass etwa der Birkenpilz, der häufig in alpinen Umgebungen vorkommt, von prähistorischen Menschen in Nordeuropa als Abführmittel verwendet worden sein könnte. Denn er ruft bekanntlich bei Einnahme kurze Durchfälle hervor und wurde unter den Besitztümern eines mumifizierten Mannes gefunden. Neben Pflanzen dürften in der Steinzeit auch Erde und Lehm schon medizinisch verwendet worden sein. Man vermutet, dass Menschen von Tieren die „Geophagie“ lernten, also das Essen bestimmter Erdsorten, um bestimmte Krankheiten zu bekämpfen. Äußerlich wurden derlei Tonerden vermutlich auch schon zur Behandlung von Wunden verwendet.
Ähnliche Verfahren heute
Kräuter werden heute, vor allem in Form von Tees, natürlich immer noch verwendet. Heute weiß man über deren Wirkung allerdings genauer Bescheid und hat eine breitere Auswahl zur Verfügung. Gegen Magenbeschwerden, Halsschmerzen oder aber auch Schlafprobleme können die unterschiedlichsten Kräuter als Naturmedizin helfen. Auch Heilerde verwenden viele Menschen heute noch. Sie wird meist als Pulver eingenommen (etwa in Kapseln) und soll gegen Magenprobleme, Sodbrennen, für Entgiftungen aber beispielsweise auch äußerlich aufgetragen gegen Akne helfen.
Magie und die Medizinmänner
Malereien an den Wänden der Höhlen von Steinzeitmenschen zeigen häufig einen Mann mit Geweih. Dieser wird für einen Medizinmann gehalten und offenbart so einen Teil der prähistorischen Medizin. Medizinmänner, die heute mit den Ärzt:innen vergleichbar sind, waren in der Steinzeit vermutlich für jegliche medizinische Maßnahmen verantwortlich. Ob Pflanzenmedizin oder kleinere operative Eingriffe – all das war Gebiet der Medizinmänner. Daneben waren die Medizinmänner aber auch Magier in gewisser Form. Sie verwendeten Zaubersprüche und Amulette, um böse Geister abzuwehren.
Psycholog:innen – Die Medizinmänner von heute?
Zaubersprüche und andere spirituelle Maßnahmen werden heute höchstens noch in der alternativen Medizin und der spirituellen Szene angewendet. Dennoch existieren diese Dinge in ähnlicher Form auch heute noch. Da sich die Maßnahmen der Medizinmänner, die sich der übernatürlichen Ebene zuwandten, meist auf psychische Krankheiten bezogen, lassen sie sich aber auch mit moderner Psychologie vergleichen. Psycholog:innen und Psychiater:innen heute wenden nur andere Methoden an, um Betroffene zu heilen. Konfrontationstherapien, therapeutische Gespräche, Traumatabewältigung – das sind einige der modernen Verfahren gegen „Krankheiten“ des Geistes.
Marlene ist seit 25 Jahren Fotografin und Künstlerin. Ihre Leidenschaft für Sprachen und interkulturelle Kommunikation entwickelte sie durch internationale fotojournalistische Arbeiten. Heute nutzt sie ihre weitreichende Erfahrung auch als Korrekturleserin und übersetzt journalistische Artikel vom Französischen ins Deutsche. Marlene stellt sicher, dass jeder Text seine Authentizität bewahrt und an die sprachlichen sowie kulturellen Besonderheiten des deutschsprachigen Publikums angepasst wird.